Wir leben in einer Welt der Gegensätze. Wenn ich mich so umsehe, habe ich den Eindruck, dass es immer nur um ein Entweder-Oder geht. Natürlich, es gibt viele Fragen, da müssen wir uns entscheiden: Sind wir für oder gegen die Privatisierung von Spitälern? Sind wir für oder gegen zwei Fremdsprachen an der Primarschule? Sind wir für oder gegen die Altersreform 2020? Das sind politische Alltagsfragen, da braucht es eine Entscheidung.
Etwas komplizierter wird es aber bei den grossen Fragen. Diese betreffen zwar auch unseren Alltag, sie sind aber nicht so einfach zu beantworten.
Sind wir für Freiheit? Sind wir für Sicherheit? Sind wir auch für Sicherheit, wenn sie auf Kosten der Freiheit geht?
Oder: Sind wir für die Globalisierung? Sind wir für Protektionismus? Sind wir auch für die Globalisierung, wenn sie auf Kosten des Schutzes von einheimischen Produkten und Arbeitsplätzen geht?
Oder ein letztes Beispiel: Sind wir für den Rechtsstaat? Sind wir für eine humanitäre Asylpolitik? Sind wir auch für den Rechtsstaat, wenn in seinem Namen Ausschaffungen vollzogen und Ablehnungsentscheide gefällt werden?
Ehrlich gesagt: Ich habe abgewogen. Soll ich der politischen Konkurrenz so viel Raum geben? Oder ist das zuviel der Ehre? Da das eigene politische Handeln – auch dasjenige von Parteien – immer in Relation zum Handeln von den politischen Mitbewerbern zu sehen ist und die „anderen“ somit durchaus von Bedeutung sind, widme ich dem Freisinn einige Zeilen. Denn was sich die Zürcher FDP derzeit leistet, gehört einmal gesagt.
Dass die FDP bei der USR lll eine heftige Schlappe eingefahren hat: Das gibt es in der Politik. Dass das Abstimmungsverhalten der FDP-Kantonsratsfraktion von ihrem eigenen Regierungsrat als „unintelligent“ betitelt wird: Geschenkt, sowas kann vorkommen. Dass die FDP sich immer wieder als Steigbügelhalterin der SVP betätigt, um dann beim nächsten Mal, wenn sie eigenständig auftritt, von dieser wüst abgekanzelt zu werden: Ein innerbürgerliches Problem, geht uns nichts an.
Was aber wirklich ein Problem ist: Der Klientelismus und der Opportunismus.
Diesen Spruch habe ich kürzlich auf dem T-Shirt eines jungen Mannes gelesen. Im ersten Moment habe ich geschmunzelt. Dann aber ist mir aufgefallen, dass dies sehr zutreffend das Selbstverständnis und das Lebensgefühl vieler Menschen zum Ausdruck bringt. Individualismus ist schon lange ein Trend. Das ist auch gut: Wer will denn schon eine anonyme Nummer sein? Zunehmend wird aus der Individualisierung aber Egozentrismus, der in Selbstverliebtheit und Rücksichtslosigkeit mündet. Diese Entwicklung ist auch in der Politik feststellbar. Kein Wunder: Wenn privat und geschäftlich immer mehr so gehandelt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis dies auch auf den politischen Betrieb durchschlägt.
Gemäss liberaler Logik könnten wir sagen: Es werden Interessen vertreten und es findet ein Wettbewerb statt, bei dem sich die Besten, Überzeugendsten und Gewieftesten durchsetzen. Etwas nüchterner betrachtet müssen wir jedoch feststellen: Es geht weniger um einen Wettbewerb der Ideen, sondern um die Macht des Stärkeren.
Ja, ein denkwürdiges Jahr mit verschiedenen ungeahnten Entwicklungen und Entscheidungen geht zu Ende. Ja, als Linke haben wir derzeit mit den rechtslastigen Mehrheitsverhältnissen in Bund und Kanton nicht viel zu lachen. Und ja, der weltweite Vormarsch der Populisten ist besorgniserregend. Aber nein, dies alles ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Nein, linke Politik und Lösungsvorschläge sind nicht demodée. Und nein, auch wenn wir derzeit mehr Bisheriges verteidigen müssen als Neues gestalten können, machen wir deswegen keine weniger wichtige Arbeit.
Als grösster linker Partei in unserem Land kommt uns gegenwärtig eine enorm wichtige Aufgabe zu: Wir müssen die sozial- und rechtsstaatlichen Errungenschaften – an deren Entstehung wir massgebend beteiligt gewesen sind – gegen die stetigen Abbau- und Kürzungsgelüste von Rechts verteidigen. Dabei geht es um ursozialdemokratische Anliegen wie soziale Sicherheit, funktionierende Institutionen, Menschen- und Bürgerrechte, Steuergerechtigkeit, Service public.
So, jetzt wo die Politik trumpisiert wird, können wir endlich mal wieder sagen, was wir denken und können abfahren mit dieser ewigen political correctness. Sozialschmarotzer, Verbrecher, Verhinderer, Wirtschaftsflüchtlinge können beim Namen genannt werden – das Volk will Klarheit und deutsch und deutliche Sprache. Das hat mir diese Woche ein Kommunalpolitiker gesagt – er kommt wohlgemerkt nicht aus der SP. Ich habe ihm dann entgegnet, dass ich nicht glaube, dass die Wahl eines politisch unerfahrenen, zwielichtigen Geschäftsmanns zum US-Präsident Grund ist, sich rassistisch, sexistisch, populistisch und egozentrisch zu verhalten wie er dies getan hat. Und es ist auch kein Grund, Behinderte lächerlich zu machen, Minderheiten zu beschimpfen und Institutionen zu verhöhnen. Wir sind auch keine Amerikaner, wir sind Zürcher, Schweizer und Europäer und das, was ennet dem grossen Teich passiert, hat mit unseren Vorstellungen nichts zu tun. Wir bleiben unseren Überzeugungen und unseren Werthaltungen treu.
Weiterlesen: Kopf hoch halten: Rede an der DV der SP Kanton Zürich vom 24. November 2016
„Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von allen anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert wurden.“ Dieser Ausspruch von Winston Churchill ist mir durch den Kopf gegangen, als Donald Trump seine Siegesrede hielt. Die amerikanische Präsidentschaftswahl ist so ein Moment, in dem mich als überzeugter Demokrat für eine Sekunde lang Zweifel beschleichen: Wie kann es in einer der ältesten Demokratie sein, dass ein Mann ins wichtigste Amt gewählt wird, der rassistisch, sexistisch, populistisch, egozentrisch und ohne jegliche politische Erfahrung ist? Was läuft da schief? Haben die die Stimmen richtig ausgezählt? Das Resultat dieser Wahl zeigt, dass in einer Demokratie ganz demokratisch sehr undemokratische Personen und Werthaltungen gewählt werden können. Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass sie ihre eigenen Errungenschaften auch wieder zunichte machen oder zumindest in Frage stellen kann. Jammern, klagen und mit dem Finger auf die Amis zeigen bringt nichts.
„Papa nei, das isch kein richtige Güggel, ich wott das nöd.“ So die Reaktion meiner Tochter, als ich ihr beim Einkaufen statt des bei ihr beliebten aber ausverkauften Pouletfleischs Truthahn beliebt machen wollte. Sie hat sich nichts vormachen lassen. Und das ist gut so. In der Politik geht es ähnlich zu und her. Immer wieder wird uns auch etwas schmackhaft gemacht oder als etwas verkauft, was es gar nicht ist. Aktuell ist die Welt voll von solchen Beispielen.
Dass Donald Trump weder ein Gentleman, noch ein erfolgreicher Geschäftsmann, noch ein fundierter Politiker ist, als das er alles verkauft wurde, hätte man auch ohne Enthüllungs-Skandalvideo merken können. Zu hoffen bleibt, dass die Wählerinnen und Wähler daraus die richtigen Schlüsse ziehen und diesem Polit-Entertainment ein Ende bereiten und es nicht salonfähig machen. Doch auch bei uns ist das Phänomen des Vorgaukelns zu beobachten – mit dem Unterschied, dass es immerhin (auch) noch um Inhalte geht.
„Wenn jeder für sich selbst schaut, ist für alle geschaut. Aufgabe der Politik wäre es doch, den Menschen möglichst viel Freiheit zu geben, dann kann jeder so leben wie er will.“ Diese Aussage im Rahmen einer Diskussion hat mich zum Nachdenken gebracht. Gewiss: Das Streben nach Selbstbestimmung ist eine der menschlichen Triebfedern. Sie kommt immer und überall vor, in Nationen und Volksgruppen genauso wie bei Einzelpersonen oder in unserer modernen und liberalen Gesellschaft als Ganzes. Wenn sich der Dalai Lama für die Unabhängigkeit von Tibet einsetzt, wenn die ungarische Regierung keine Flüchtlinge aufnehmen will, wenn sich die Appenzeller von den Zürchern nichts vorschreiben lassen wollen, wenn die Seniorin möglichst lange in den eigenen vier Wänden und nicht in einem Altersheim wohnen will – es geht immer um Selbstbestimmung. Selbstbestimmung ist letztlich also Freiheit.
Gewiss: Es ist spannend, über Ideen und Wortmeldungen der eigenen Regierungsratsmitglieder zu diskutieren. Das darf, soll und muss auch so sein. Inzwischen ist der Sommer jedoch vorüber und der Herbst beginnt. Viel spannender ist es nun zu schauen, was die anderen Regierungsrätinnen und Regierungsräte tun. Und das verheisst nichts Gutes: Der Regierungsrat hat mit der Leistungsüberprüfung 16 ein Sanierungs- und Abbaupaket geschnürt, das einen eigenartigen Mix aus Zahlenkosmetik, Kürzungen und Verlagerungen auf die Städte und Gemeinden darstellt.
Es führt dazu, dass Bildungsdirektorin Silvia Steiner die Beiträge des Kantons an die Erwachsenenweiterbildung zusammengestrichen hat und die Schulleitungskosten ganz den Gemeinden übertragen will. Es führt dazu, dass Baudirektor Markus Kägi das Förderprogramm für erneuerbare Energien stoppen möchte und Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekte verschiebt.
Heute Morgen habe ich ein Mail eines Bekannten aus Berlin erhalten, in dem er mir am Ende einen schönen Friedenstag gewünscht hat. Ich habe mich darüber etwas gewundert, habe dann gegoogelt und festgestellt, dass der 1. September in Deutschland seit Jahrzehnten als Friedenstag gilt. Er erinnert an den 1. September 1939, als Nazi-Deutschland Polen überfallen und damit den 2. Weltkrieg eröffnet hat.
Diese kleine persönliche Episode hat mich einmal mehr daran erinnert, wie privilegiert wir Schweizerinnen und Schweizer sind. Wir haben keinen Friedenstag – schlicht und einfach deshalb, weil in unserem Land seit der Gründung des Bundesstaats Frieden herrscht.
Den Zustand des Nicht-Friedens oder eben des Kriegs kennen wir faktisch nur aus den Medien und Gesprächen mit Menschen, die den Krieg andernorts erlebt haben.
Weiterlesen: Rede an der DV der SP Kanton Zürich vom 1. September 2016