„Das Beste wäre, man würde Zürich in zwei Halbkantone aufteilen: Zürich-Stadt und Zürich-Land. Was die Basler können, können wir schliesslich auch.“ Dies meinte ein Bekannter zu mir mit Blick auf die diesjährigen Gemeindewahlen, bei denen wiederum Unterschiede zwischen Stadt und Land sichtbar wurden. Klar: Das Wahl- und Abstimmungsverhalten und die Mehrheitsverhältnisse sind verschieden zwischen Stadt und Land. Die SP und die gesamte Linke sind in der Stadt stärker vertreten als auf dem Land, politisch und personell. Das ist nicht neu, das war schon immer so. Trotzdem halte ich nichts von einer Abgrenzung zwischen Stadt und Land. Die Realität ist nämlich weitaus komplexer und die Grenzen sind sehr unscharf: Was verstehen wir genau unter „Stadt“ und was unter „Land“? Gilt nur die Stadt Zürich als Stadt? Was ist mit Winterthur? Wenn ich durch das Zentrum von Uster flaniere oder durch Opfikon an den Flughafen fahre, nehme ich das subjektiv als städtischer wahr, als wenn ich in der Stadtzürcher Waid Znacht esse oder in der Neuburg Winterthur Bekannte besuche. Genauso verhält es sich umgekehrt mit dem Land: Dass Volken und Wasterkingen als Landgemeinden gelten, dürfte unbestritten sein. Was aber ist mit Gemeinden wie Wallisellen oder Wetzikon? Das sind schon lange nicht mehr Orte, wo sich still und leise Fuchs und Hase gute Nacht sagen; vielmehr handelt es sich dabei um stark wachsende Gemeinden mit zunehmend urbaner Prägung. Und davon gibt es je länger je mehr.

Stadt und Land schliessen sich also nicht aus, im Gegenteil: Sie ergänzen sich, rücken näher zusammen – und sind beide zürcherisch. Diese Symbiose von Stadt und Land ist für mich ein wesentliches Identitätsmerkmal unseres Kantons. Gut zum Ausdruck bringt dies der offizielle Slogan meiner Wohngemeinde Niederhasli: Natürlich stadtnah leben. Und tatsächlich: Mit der S-Bahn bin ich genauso schnell in Zürich-Downtown wie jemand, der in Höngg wohnt und mit dem Bus oder Tram an den Hauptbahnhof fährt.

Was heisst dies nun politisch? Es ist alles andere als ein Naturgesetz, dass der Wähleranteil der Linken schlagartig um 10 Prozent sinken muss, wenn man von der Stadt Zürich ins Limmat- oder Glattal gelangt. Da ist viel Potential vorhanden – hier müssen wir ansetzen. Die mit veralteten Klischees behaftete Stadt-Land-Sichtweise ist auch deshalb überholt, weil immer mehr Zürcherinnen und Zürcher weder in der Stadt noch auf dem Land leben, sondern: In der Agglo. Dort also, wo sich städtische und ländliche Merkmale vermischen und sich ein neues (auch politisches) Selbstverständnis mit vielen Chancen entwickelt.

Kolumne im P.S., Mai 2014


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