Liebe Oberglatterinnen und Oberglatter
Liebe Festgemeinde
Es freut mich sehr, heute Abend bei Ihnen in Oberglatt sein und ich bedanke mich für die Einladung. Oberglatt ist für mich als Niederhasler nicht einfach nur eine Nachbargemeinde, sondern es ist eine Gemeinde mit der ich viel und gerne zu tun habe, vor allem im Zusammenhang mit unseren gemeinsamen Polizei RONN, die in Oberglatt ihren Sitz hat. Insofern bin ich regelmässig in Oberglatt fühle ich mich fast schon ein wenig als Teilzeit-Oberglatter.
Der 1. August ist der Geburtstag der Schweiz. Üblicherweise wird an einem Geburtstag ein Fest veranstaltet. Die Anlässe zum 1. August heissen jedoch nicht Geburtstagsparty, sondern Bundesfeiern. Das bringt zum Ausdruck, dass es am 1. August zwar auch um ein Fest geht, aber eben nicht nur: Es geht ebenso um einer Feier. Eine Feier beinhaltet das Nachdenken über das, was gefeiert wird. In unserem Fall denken wir also über die Schweiz nach oder anders ausgedrückt: wir denken über unsere Heimat nach. Ich lade Sie daher ein, in den nächsten Minuten mit mir über unsere Heimat nachzudenken.
Der frühere Bundesrat Willi Ritschard hat einmal gesagt: „Heimat ist überhaupt nicht etwas was man einfach hat. Heimat muss man machen.“
Mir gefällt dieses Zitat sehr gut und es passt für mich auch hervorragend zum Wesen und Charakter der Schweiz.
Viele von uns sind in der Schweiz geboren. Wir kennen nichts anderes. Alles hat schon immer funktioniert und ist sogar immer noch besser geworden: Die Gesundheitsversorgung, das Schulwesen, die öffentliche Infrastruktur, Sozialsystem, die Altersvorsorge, und selbst die Steuern wurden immer pünktlich eingezogen. Zu all dem haben wir uns schon immer sicher und frei fühlen können.
Vieles ist dadurch selbstverständlich geworden. Wir sind uns häufig nicht bewusst, dass wir im weltweiten Vergleich sehr privilegiert leben und für die meisten Menschen unsere Lebensumstände alles andere als selbstverständlich sind.
Ein Blick in die Geschichte der Schweiz zeigt, dass auch bei uns nicht alles einfach so ist wie es ist. Alleine schon die Tatsache, dass es unser Land überhaupt gibt, ist keine Selbstverständlichkeit ist: Die Schweiz existiert, weil immer wieder der Willen vorhanden ist, sich zwischen den Sprachregionen und den verschiedenen Landesteilen zu verständigen und zusammenzuarbeiten und weil eine gemeinsame Vorstellung vorhanden ist, wie wir leben wollen.
Wir haben keine natürlichen Grenzen, die die Schweiz zusammenhalten, wir haben keine gemeinsame eigene Sprache, die uns vereint, wir haben – zum Glück – auch kein Königshaus, welches uns zusammenführt.
Wir haben als Willensnation einzig eine gemeinsames Staats- und Gesellschaftsmodell und eine gemeinsame Wertordnung, die unsere Einheit ausmachen.
Zu diesen Werten zählen die direkte Demokratie, der Föderalismus, der Rechtsstaat, der Sozialstaat, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, ein respektvoller Umgang mit Minderheiten, eine freie und offene Gesellschaft und letztlich auch eine funktionierende Wirtschaft.
All dies hat dazu geführt, dass die Schweiz alles in allem betrachtet ein hervorragend funktionierender Staat ist, der seinen Einwohnerinnen und Einwohner einen hohen Wohlstand, soziale Absicherung und persönliche Sicherheit und Freiheit ermöglicht.
Wir müssen nicht sehr weit gehen, um zu sehen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Blick in die Ukraine, nach Syrien oder nach Gaza reicht um zu sehen, was passiert, wenn Staaten zerfallen, kein Vertrauen mehr da ist und die Vorstellungen wie man leben will nicht mehr kompatibel sind.
Bei der Fussball-Weltmeisterschaft gab es den Werbespruch: Wir alle sind das Team. In Bezug auf unseren Staat können wir sagen: Wir alle sind der Staat. Vertrauen in den Staat ist bei uns letztlich also auch Vertrauen in uns selber.
Damit sind wir auch bei uns selbst angelangt: Als Bürgerinnen und Bürger können wir nicht einfach nur konsumieren und abwarten, wir können und müssen auch handeln. Eben wie Willi Ritschard sagte: Heimat muss man machen. Wir müssen für unser Staats- und Gesellschaftsmodell und unsere Wertordnung auch einstehen. Besonders dann, wenn der Staat schlecht geredet wird oder wenn extreme Kräfte, egal ob politisch, religiös oder wirtschaftlich, an unseren Werten kratzen.
Das gilt für mich auch im Bereich der Zuwanderung: Die Schweiz ist ein offenes Land. Wir haben eine lange humanitäre Tradition und unseren Wohlstand verdanken wir auch ausländischen Arbeitskräften.
Klar ist für mich aber auch, dass alle, die dauerhaft hier leben wollen, nicht nur die Deutsch lernen müssen, sondern auch unser Staats- und Gesellschaftsmodell und unsere Wertordnung akzeptieren müssen.
Wir alle sind Heimatmacherinnen und Heimatmacher.
Die Geschichte passiert nicht einfach so, sie wird von Menschen gemacht und bestimmt. Und wer selber nicht mitbestimmt, über den wird bestimmt.
Vor genau 100 Jahren, Ende Juli und anfangs August 1914, wurde in der Schweiz wegen des aufkommenden 1. Weltkriegs die Generalmobilmachung ausgerufen. Alle wehrpflichtigen Männer mussten in den Militärdienst einrücken. In den gleichen Tagen wurden auch in Deutschland und Frankreich die Armeen mobilisiert. Kurz zuvor hatte Österreich-Ungarn Serbien den Krieg erklärt, nachdem der österreichische Thronfolger in Sarajevo ermordet worden war und die Spirale der Spannungen und der Gewalt immer schneller gedreht hat. Was anschliessend passiert ist, ist bekannt: Insbesondere in Europa herrschte Krieg. Die Schweiz wurde weitestgehend davon verschont.
Ganz ähnlich war es im 2. Weltkrieg: Auch da überzog ein Krieg Europa und andere Erdteile und wiederum wurde die Schweiz weitestgehend davon verschont.
Dass die Schweiz sich aus diesen Kriegen heraushalten konnte, hat – wie wir heute wissen – mit verschiedenen Ursachen zu tun: Mit einer geschickten Politik, mit der Neutralität, mit Wehrwillen, aber auch mit wirtschaftlichen Gründen und wohl auch mit einer Portion Glück.
Dafür können wir einerseits dankbar sein. Andererseits zeigen diese Beispiele, dass wir nicht auf einer Insel leben und wir unsere Heimat nicht nur für uns alleine gestalten können. Es gibt immer auch äussere Einflüsse und Entwicklungen, vor denen wir die Augen nicht verschliessen können, und die wir als Herausforderungen anpacken sollten. Eine solche Herausforderung heisst Europa.
Wenn wir heute über Europa reden, reden wir nicht mehr über Kriege und Bedrohungen, sondern wir reden häufig über die EU. Wir reden dann über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die Personenfreizügigkeit, regen uns über „die in Brüssel“ auf und vergessen dabei leicht, dass es auch da alles andere als selbstverständlich ist, dass wir in Europa friedlich zusammenleben und uns heute über Sachthemen streiten und nicht mehr die Armeen mobilisieren.
Mir selber ist dies sehr bewusst geworden, als ich während meines Studiums an einem europäischen Austauschprogramm teilgenommen habe: Da trafen junge Holländer, Belgier, Franzosen und Deutsche aufeinander, lernten sich kennen und arbeiteten zusammen. Die Grosseltern dieser Studenten hat noch gegeneinander gekämpft. Ihre Enkel haben problemlos zusammengearbeitet und sind miteinander in den Ausgang gegangen.
An dieser kleinen Episode sehen wir, dass in den letzten Jahrzehnten in Europa enorm viel passiert ist. Und zwar zum Guten. Das ist auch das Verdienst der EU, die als Friedensprojekt gegründet wurde und in dieser Beziehung viel erreicht hat. Als Schweizerinnen und Schweizer, die aufgrund der beiden Weltkriege eine andere Geschichte erlebt haben, sind wir uns dem vielleicht nicht immer so bewusst.
Damit will ich keineswegs sagen, dass die EU perfekt sei und wir gleich beitreten müssen. Ich sehe das eine und andere auch kritisch. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass unsere Heimat auch in Europa mitgestaltet wird. Von daher möchte ich daran appellieren, ein unverkrampftes Verhältnis zu Europa zu pflegen und die EU nicht als Gegner, sondern als Partner zu sehen. Genauso wie wir innerhalb unseres Landes unser Staats- und Gesellschaftsmodell und unsere Werte vertreten müssen, müssen und sollten wir dies auch ausserhalb unseres Landes tun. Ein friedliches und stabiles Europa ist auch in unserem Interesse.
Sie sehen: Als Heimatmacherinnen und Heimatmacher wird uns also bestimmt nicht langweilig. Viele Aufgaben warten auf uns. Wir können diese mit Selbstbewusstsein angehen, aber auch mit der Überzeugung, dass sich ein Einsatz lohnt, da eben auch bei uns nicht alles selbstverständlich ist.
Um sich einzubringen und unsere Heimat mitzugestalten, muss man nicht Politikerin oder Politiker sein. Man kann dies auch als Vorstandsmitglied in einem Verein, als aktiver Stimmbürger, als engagierte Nachbarin oder als Diskussionspartner am Stammtisch tun und so Verantwortung übernehmen.
In diesem Sinn freue ich mich, wenn auch Sie mitmachen und wir alle gemeinsam Heimatmacherinnen und Heimatmacher sind.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und das Mitdenken und wünsche Ihnen einen schönen Abend.