„Unglaublich, wie so etwas geschehen kann.“ Diese Aussage hören wir in diesen Tagen wohl alle häufig, wenn von der Mutter aus Flaach die Rede ist, die ihre zwei Kinder umgebracht hat. Die Tat und die Umstände wühlen auf und sorgen für Diskussionen – für hilfreiche und verständliche, aber auch für unverantwortliche und unfaire. Betroffen davon sind auch die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB), die von einigen Politikern, einigen Gemeinden und einigen Medien teilweise heftig angegriffen werden – nicht erst seit der Tragödie von Flaach, sondern auch schon vorher. Für mich ist klar: Jede Tragödie ist eine zuviel und in jedem Fall muss untersucht werden, welche Lehren daraus gezogen werden müssen. Klar ist für mich aber auch: Rundumschläge nützen nichts und sind reine Polemik. Notwendig sind eine faire Betrachtungsweise und die Prüfung von Fakten und Verbesserungsmöglichkeiten. Dieser Anspruch muss auch für die KESB gelten.

Fakt ist: Professionalisierte Fachbehörden wurden eingeführt, weil in der Politik und der Fachwelt breiter Konsens vorhanden war, dass das alte System mit den kommunalen Vormundschaftsbehörden ausgedient hat und weil auf Bundesebene der Bundesrat und das Parlament entsprechende Vorgaben beschlossen hatten. Die Umsetzung im Kanton Zürich ist genau so gemacht worden, wie es die Gemeinden gewollt haben. Der damalige Justizdirektor Markus Notter hatte vorgeschlagen, dass der Kanton die Zuständigkeit und Trägerschaft für die KESB übernehmen solle. Dies wollten die Gemeinden – allen voran der Gemeindepräsidentenverband (GPV) – jedoch nicht, pochten stattdessen auf die Gemeindeautonomie und wollten selbst die Trägerschaft der KESB übernehmen. Das Resultat davon sind nun 13 regionale KESB mit ganz unterschiedlichen Strukturen. Im Zürcher Unterland beispielweise ist die KESB im Bezirk Dielsdorf über einen Zweckverband organisiert, im Bezirk Bülach führen die Städte Bülach und Opfikon die KESB Bülach Nord bzw. Bülach Süd als Sitzgemeinden für mehrere Gemeinden. Es ist daher nicht redlich, wenn die Damen und Herren des GPV nun das grosse Wort führen – sie kritisieren damit nämlich auch ihre eigene Arbeit.

Fakt ist weiter: Die Gemeinden haben früher mit ihren eigenen Vormundschaftsbehörden die Fallbearbeitung ganz unterschiedlich gehandhabt. Sie haben auch ihre Vormundschaftsdossiers in unterschiedlicher Qualität den KESB übergeben. Jetzt einfach zu behaupten, mit den kommunalen Vormundschaftsbehörden sei alles besser gewesen, ist eine Verklärung der Vergangenheit. Es gab auch zu Zeiten der Gemeindezuständigkeiten Unzulänglichkeiten und tragische Vorfälle. Als Beispiel sei an den Fall „Bonstetten“ erinnert (Sorgerechtsstreit, Tod eines Knaben). Damals wurde der Ruf laut, man müsse den Gemeinden die Vormundschaftszuständigkeit wegnehmen, weil sie diese unprofessionell ausführen würden. Bei all diesen Rufen – ob früher gegen die Gemeinden oder jetzt gegen die KESB – geht vergessen: Wir haben es mit Menschen zu tun. Dabei gibt es immer Unberechenbarkeiten und Risiken.

Fakt ist ebenso: Der Pikettdienst der KESB an Wochenenden und an Feiertagen – wie er nun im Zusammenhang mit der Tragödie von Flaach diskutiert wird – war ursprünglich bei der Einführung der KESB vorgesehen. Im Kantonsrat hatte jedoch eine Mehrheit aus SVP, FDP, GLP, BDP und EDU diesen Pikettdienst gestrichen mit der Begründung, das brauche es nicht und sei zu teuer. Ob ein Pikettdienst den Ablauf in Flaach beeinflusst hätte oder nicht, ist reine Spekulation. Als Sozialvorsteher weiss ich aber, dass gerade an Feiertagen Familienkonflikte und Beziehungsprobleme eskalieren und sich nicht an Bürozeiten halten. Dann sind häufig persönliche Gespräche nötig, um deeskalierend zu wirken und Lösungswege aufzuzeigen. Eine bessere Verfügbarkeit der KESB ist daher notwendig; ebenso mehr persönliche Kontakte und eine gezieltere, sensiblere Kommunikation. Zudem gilt es die Schnittstellen zwischen den verschiedenen beteiligten Behörden genauer zu klären.

Und Fakt ist auch: Seit Einführung der KESB ist bei den Massnahmen insgesamt keine Kostensteigerung feststellbar. Der Regierungsrat – der via Gemeindeamt die Oberaufsicht über die KESB ausübt - hat die ersten Zahlen und Erkenntnisse vor wenigen Wochen öffentlich dargelegt.

Kurz und gut: Der Kindes- und Erwachsenenschutz war, ist und bleibt eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Es geht immer um Eingriffe in die Freiheit von Menschen. Die KESB leisten eine schwierige Aufgabe, die für unsere Gesellschaft wichtig und unverzichtbar ist. Ich sehe es als Pflicht von uns Politikern, nicht einfach nur zu kritisieren, sondern dafür zu sorgen, dass diese Aufgabe bestmöglichst wahrgenommen werden kann.


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